Im Kindergarten meines Sohnes ist mir vor einigen Wochen zum wiederholten Male bewusst geworden, wie schlecht es Familien und vor allen Dingen Kindern in unserem schönen Sozialstaat gehen kann. Das Wort „Kinderarmut“ schlug mir kräftig ins Gesicht. Nur wie kam es dazu?
Eine Kindergärtnerin bat mich um die alten Schuhe meines Sohnes. Für ein anderes Kind, welches keine Schuhe hat. Man stelle sich vor: Wir schreiben das Jahr 2013, leben in einem der reichsten Länder auf diesem Erdball. Und trotzdem gibt es Kinder, die nicht einmal eigene Schuhe haben. Wie kann so etwas passieren? Wer hat da bitteschön versagt?
Der Junge ist kein Einzelfall. Und schnell ist im Kopf ein Urteil über die angeblichen Verursacher dieser Misere gefällt. Die Eltern. Um einfach mal aufzuzeigen, was viele denken: Wahrscheinlich steht hinter diesem Schicksal eine alleinerziehende Mutter. Der Vater ist schon lange über alle Berge und kümmert sich nicht. Ist er doch noch da, hat er sicherlich keine Arbeit, sitzt den ganzen Tag vor dem Computer und spielt irgendwelche sinnlosen Spiele oder surft. Beide haben ein simples Gemüt, sind bildungsfern und weit von einer Chance auf Besserung der Lebensumstände entfernt. Die Stütze wird lieber in Zigaretten, Alkohol und Partys mit den Kumpels angelegt, als in die Kinder zu investieren. Zuwendung und Liebe wird man vergeblich suchen. Die Kinder laufen nur nebenher. Stören eigentlich. Und weil sie nun mal da sind, muss man sie halt irgendwie mit durchschleppen.
Habt ihr euchwiedererkannt? In den Vorurteilen? Denkt ihr manchmal auch so? Ihr müsst euch nicht dafür schämen. Das ist eine ganz normale Reaktion. Denn man sieht meist nur einen Bruchteil des ganzen Szenarios. Und wenn wir ehrlich sind nur das, was wir sehen wollen. Aber warum ist das so? Warum wollen wir nur das sehen? Warum hinterfragen wir nicht das Gesehene oder Erlebte? Haben wir Angst, dass sich unsere Vorurteile nicht bestätigen könnten? Das es doch anders ist als es scheint? Ich sage es euch. Wir haben Angst. Angst vor dem, was wir sehen und erleben könnten, wenn wir uns damit beschäftigen. Wenn wir sehen, was uns vielleicht auch mal ereilen könnte. Denn niemand ist davor gefeit, sozial abzustürzen. Es kann jeden treffen.
Ich habe mich auf die Suche nach den Hintergründen begeben. Denn ich wollte nicht nur mit ein paar Schuhen aushelfen, sondern gerne mehr tun. Die Geschichte hinter diesem Schicksal kennen lernen und verstehen. Als Elternsprecher im Kindergarten zählt dies für mich zu meinen Aufgaben. Nicht nur zu warten, das die Eltern auf mich zugehen, um mir ihr Leid zu klagen, sondern selbst auch aktiv an die Eltern heranzutreten und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Und ich habe sie gefunden, die Eltern des kleinen Jason. Und ratet mal, was passiert ist? Die haben sich doch tatsächlich gefreut, dass ich sie angesprochen habe, dass ich Interesse zeige und ihnen helfen möchte. Auch wenn sie selbst in diesem Moment keinen Weg für Hilfe sahen.
Wir setzten uns zusammen und sie erzählten mir ihre Geschichte. Eine Geschichte, die fast schon zu traurig ist, um sie hier zu schreiben. Aber vielleicht doch so gut, um anderen, die auch in solch einer Situation sind, ein wenig Mut zu machen und einen Weg aufzuzeigen, wie es weitergehen kann.
Die Familie besteht insgesamt aus 5 Personen. Der kleine Jason, seine Eltern und seine 2 jüngeren Geschwister. Zwillinge, 2 Jahre, Jason ist 5 Jahre alt. Der Vater hatte einen gut bezahlten Job, der Familie ging es gut, man hatte das Leben an den guten Verdienst angepasst. Eine tolle Wohnung, ein großes Auto, schicke Möbel, jedes Jahr einen schönen Urlaub. Diverse Kredite wurden aufgenommen, um den Wohlstand schnell im Leben integrieren zu können. Doch dann kam der große Knall und die Seifenblase, die rings herum aufgebaut wurde, zerplatzte. Der Vater wurde arbeitslos. Die Firma, in der er beschäftigt war, ging in Konkurs. Was übrig blieb, waren offene Gehälter und ein Scherbenhaufen. Einen neuen Job hat er bis heute nicht gefunden, da er einen recht seltenen Beruf hat und der nicht überall gebraucht wird. Die Mutter war zu dieser Zeit in der Elternzeit, durch die plötzliche Arbeitslosigkeit und die dadurch eintretende Geldnot wurde sie psychisch krank und ist bis heute erwerbsunfähig. Die Grundlage für die Familie, das regelmäßige monatliche Einkommen, war somit weg. Was danach folgte, waren Monate der Trauer und Verzweiflung. Die Kredite konnten nicht mehr bedient werden, Verträge nicht kurzfristig gekündigt werden. Die Spirale der Armut zog die Familie immer weiter runter. Inzwischen stand der Gerichtsvollzieher schon mehrmals vor der Tür, die Familie versucht von dem wenigen Geld, was sie im Moment zur Verfügung hat, die Gläubiger zu bedienen. Leider wird der größte Teil von den Zinsen geschluckt, sodass die Verbindlichkeiten nicht spürbar weniger werden. Es ist ein Kreislauf, den niemand gewinnen kann. Der große Verlierer ist dabei die Familie, denn sie zerbricht immer mehr, weil nicht ein Cent für zusätzliche Dinge wie Bekleidung oder Freizeit übrig ist.
Das dies nicht über einen langen Zeitraum so weitergehen konnte, war mir sofort klar. Eine schnelle und vor allen Dingen endgültige Lösung musste her. In solchen Fällen ist den Betroffenen nicht mit einer Geldspende oder ähnlichem geholfen. Was nützen ein paar Euro in der Hand, wenn damit nur ganz wenige Löcher gestopft werden können und im nächsten Monat alles wieder von vorne losgeht? Darum setzte ich mich mit einem befreundeten Anwalt in Verbindung und schilderte ihm die Situation. Er empfahl als einzigen Ausweg eine Verbraucherinsolvenz. Diesen Weg geht die Familie nun auch.
Was ich eigentlich mit dieser Geschichte aufzeigen möchte, ist ganz einfach erklärt. Man kann nur das Geld ausgeben, was man wirklich auch hat. Lasst euch nicht von Kredit- oder Finanzierungsangeboten blenden. Kauft nur dann etwas, wenn auch das Geld dafür da ist.
Wer möchte, darf mir gerne seine Gedanken, Anregungen, Erlebnisse und Wünsche schreiben. Ich freue mich sehr.
In diesem Sinne: Alles Gute für euch.